Nach einer kurzen Begrüßung und Vorstellung der Referenten durch Frau Setayesh Karami referierte als Erstes Dr. Detlef Thiel zum Thema “Sokrates – ein Homo Politicus?“
Dr. Thiel war zunächst bemüht, den historischen Kontext der Zeit darzulegen, in dem Sokrates (469 v. Chr. – 399 v. Chr.) wirkte. Danach gab er keine kurzen Überblick über die Philosophie der Vorsokratiker. Da Sokrates selbst nichts geschrieben hat, ging Dr. Thiel danach auf die Quellen ein, die uns die Philosophie des Sokrates überbrachten. Anschließend setzte sich Dr. Thiel dann mit der Philosophie des Sokrates selbst und und mit deren Bedeutung auseinander. Im Mittelpunkt der sokratischen Philosophie steht demnach die Selbsterkenntnis – der Mensch muss erkennen, dass er nur über ein begrenztes Wissen verfügt. Die Selbstsorge bedeutete eine geistige Revolution. Die Bedeutung von Sokrates werde daran deutlich, dass manche die ganze abendländische Philosophie nur als eine Fußnote zu Sokrates ansehen würden. Dr. Thiel ging danach auf die Stationen der politischen Biographie des Sokrates ein, wobei er dem Prozess des Sokrates besondere Aufmerksamkeit schenkte.
Als Fazit legte der Referent dar, warum Sokrates als ein homo politicus zu betrachten sei. Sokrates war demnach Polisbürger, Philosoph und homo politicus. Als Belege für seine Einschätzung führte Dr. Thiel die drei Einsätze des Sokrates für Athen, die Akzeptanz des Gerichtsverfahrens und Urteils, die von Sokrates praktizierte Einheit von Theorie und Praxis und die Kritik an der Demokratie an. Die Lehrbarkeit der politischen Tugend ist demnach die größte Frage von Sokrates. Nur das moralisch gute Leben sei Sokrates zufolge lebenswert und dies habe eine politische Dimension.
Als zweite Referentin des Abends hielt Frau Prof. Dr. Zweigle ihren Vortrag über das Thema „Der Umgang mit der Macht. Ein Stolperstein des Menschen auf dem öffentlichen Plateau“. Die Referentin führte aus, dass die Ausübung von Macht ein unterschwelliges Begehr des Menschen sei, das ihm ein Empfinden von Selbststeigerung und Bedeutsamkeit liefere. Deshalb sei sie eine Verlockung für Einzelne, Gruppen, Staaten und Institutionen. Wenn man über den Menschen als „zoon politicon“ spreche, dann müsse man auch über das „Thema Macht“ reden. Die Referentin näherte sich diesem Problem während ihres Referats in drei Schritten. Zunächst zeigte sie mit einem Blick in die Geschichte, wie diese eine Fülle von Beispielen liefert, wie Macht argumentativ fundiert und realisiert worden ist. Bei ihrem Geschichtsrückblick legte sie ihren Fokus auf die Modelle des Verhältnisses von Staat und Kirche und deren ideengeschichtliche Begründung. Anschließend warf Prof. Dr. Zweigle die Frage nach dem biblischen Machtverständnis auf. Mit den daraus gewonnen Kriterien konfrontierte sie die in der Geschichte gelebten Modelle. Ihr Ziel dabei war es nach ihren eigenen Worten, aus Geschichte und Bibel die Stolpersteine im Umgang mit der Macht zu erkennen, die uns als Warnung dienen könnten. Dabei führte die drei Einwände aus, wo sich die Machtausübung des Staates und der Kirche ihrer Auffassung nach weit von dem biblischen Machtverständnis entfernt hat. Die erste Gefahr ist der Referentin zufolge die Identifizierung mit der göttlichen Autorität. Bis zum Aufkommen des säkularen Staates hätten Kirche und Staat für sich in Anspruch genommen, im Namen Gottes zu reden und zu handeln. Das Unfehlbarkeitsdogma des Papstes aus dem Jahr 1870 betrachtet sie als Zuspitzung, wodurch ein sakraler Herrscher, der sogar mit Gott identifiziert werden könne, entstanden wäre. Die zweite Gefahr liegt für die Referentin darin, dass sich die Theologie in den Dienst der Politik stellen würde. Eine dritte Gefahr ist Prof. Dr. Zweigle zufolge der Missbrauch göttlicher Macht für eigene Zwecke, wie dies bspw. am Investiturstreit deutlich werde. Mit der Schilderung der Figur des Großinquisitors von Dostojewski versuchte die Referentin ihre Auffassung abschließend zu verdeutlichen.
Dem Referat von Frau Prof. Dr. Zweigle folgte der Vortrag von Dr. Laurin Mackowitz mit dem Titel „Sprachbilder moderner Staatlichkeit: Emanzipatorische Rhetorik und souveräne Politik“. Dr. Mackowitz stellte zunächst eine Vorüberlegung mit Bezug auf Nietzsche, Kantorowicz, Castoriadis und Heidegger an. Spätestens mit dem Linguistik Turn würden die inhärenten Merkmale der sprachbasierten Kommunikation in das Nachdenken über Politik einbezogen. Seitdem bestehe eine grundlegende Skepsis gegenüber der Auffassung, dass Sprache ein transparentes Instrument zur Vermittlung der Realität ist, Sprache werde stattdessen als unvermeidbarer Zwang betrachtet, der alle menschliche Suche nach Sinn und Erkenntnis strukturiert. Da die Wirklichkeit ohne sprachabhängige Zwänge nicht wahrnehmbar sei, müsse der Schwerpunkt des Denkens auf der Sprachkritik liegen. Dr. Mackowitz machte deutlich, dass Metaphern mehr als bloße Beschreibungen seien, sondern selbst Akteure zu sein scheinen, die individuelle und kollektive Subjekte an die Sprache binden und Menschen und Völker dazu bringen würden, die Welt durch ihre Brille zu sehen. Das Dasein sei als ein “weltbildendes” und zugleich “bildbedingtes” Wesen zu verstehen, weshalb die Imagination als entscheidend für die Konditionierung sozialer Wirklichkeiten als Machtverhältnisse angesehen werden könnten. Die Aufgabe, die sich der politischen Philosophie infolge der Entzauberung der weltbildenden Dimension von Sprache stellt, sei Klarheit darüber zu gewinnen, wie die Produktion und Organisation von Wissen, Waffen und Wohnraum durch Sprachbilder moderner Staatlichkeit Sinn verliehen werde. Im zweiten Teil seines Beitrags ging Dr. Mackowitz auf den Staats-Organismus („Körper, Souveränität, Faschismus“) ein. Eines der in der Moderne dominierenden Sprachbilder sei die Vorstellung vom Staat als Organismus, auf die der Referent ausführlich einging. Die schon in der Antike weit verbreitete Körper-Metaphorik, die das Bild des lebendigen menschlichen Körpers auf unbelebte Dinge und vor allem auf „soziale Gebilde“ übertrug, habe sich dabei zu einer Organismus-Metaphorik entwickelt. Die Körper-Metapher sei schon in der Antike weit verbreitet gewesen und sie erfülle viele Funktionen. Die von Livius überlieferte Fabel von Menenius Agrippa mache diese politische Funktion der Metapher besonders deutlich, weshalb der Referent ausführlich darauf einging. Das Sprachbild des politischen Körpers als zusammengesetzter und sich mit Leben versorgender Organismus finde in der Moderne eine Neukonfiguration, die ihren berühmtesten Ausdruck im Titelkupfer von Thomas Hobbes Leviathan finden würde. Der Referent machte an mehreren Beispielen deutlich, dass die Metapher des modernen politischen Körpers eine rationale Organisation des komplexen gesellschaftlichen Gefüges, eine umfassende Darstellung der Aufgaben und zugewiesenen sozialen Positionen und eine Entscheidungsgewalt in der Krise versprechen würde. Nach dem Vortrag von Dr. Mackowitz folgte eine 30-minütige Frage- und Antwortrunde mit den Referenten.
Nach einer 15-minütigen Pause referierte Dr. Daniel Hildebrand über das Thema „Verwalten statt Regieren – Der bürgerliche Traum vom Ende der Politik und seine ideengeschichtlichen Wurzeln“. Dr. Hildebrand legte zunächst die konservativen und liberalen Vorstellungen vom Politischen als gemeinem Besten dar. Der bürgerlichen Ideenwelt läge der Gedanke der Aufklärung zugrunde, dass die Vernunft, die als unstrittige Wahrheit postuliert wird, das Zusammenleben am besten ermöglichen würde. Diesen Glaube finde man bereits in den antiken Naturrechts- und Vernunftlehren, wie sie maßgeblich auf Platon und Aristoteles zurückgehen. Der Glaube an eine dem Politischen entrückte wissenschaftlich zu ermittelnde Wahrheit sei auch sozialistischen und kommunistischen Ideen zu eigen, die sich aber vom bürgerlichen Rationalitätsglauben weitgehend durch ein gleichsam soziologisches Phänomen unterscheiden würden, nämlich bürgerliche Mentalität und Lebenswelt. Beide Richtungen seien in ihrem Vernunftglauben Kinder der Aufklärung. Das Bürgertum glaube an die Macht des Privaten und Individuellen, Linke würden die Lösung der Probleme im öffentlichen Raum und auf der Ebene des Kollektiven suchen.
Der Referent ging anschließend ausführlich auf das bürgerliche Politikverständnis und die postmoderne Massendemokratie ein. Das spezifisch bürgerliche, letztlich der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts entlehnte Politikverständnis führe unter den Bedingungen der heutigen Massendemokratie zu eigentümlichen Widersprüchen. Auch die bürgerlichen Ideen seien für Ideologie anfällig. Dr. Hildebrand untersuchte danach die bürgerlichen Weltbilder in einer Welt der zunehmenden Beschleunigung. Es ergäbe sich das Problem der inhaltlichen Entleerung der bürgerlichen Politik. Konservative drohten unter diesen Bedingungen zu Erfüllungsgehilfen progressiver Politik zu werden. Zunächst einmal sei nicht allein die Wahrung staatlicher Ordnung und die innere Widerspruchsfreiheit politischen Handelns, sondern Ordnung als ein Wert schlechthin ein dominantes programmatisches Element konservativer Politik. Ein allen nicht-liberalen Politikern grundsätzlich gemeinsamer Habitus sei, alles staatlich regeln zu wollen, weshalb de facto Konservative immer häufiger zu den entschiedensten Erfüllungsgehilfen progressiver Politik werden würden. Diese könnten sich oft weitaus weniger tiefgreifend auf das Leben der Menschen auswirken, wenn Sie nicht einen Verbündeten durch konservatives Ordnungsdenken gewinnen würden. Wenn eine Ordnung als Formprinzip erst einmal inhaltlich weitgehend progressiv bestimmt sei und dem Wesen von Aufklärung und Moderne nach entsprechend widersprüchlich sei, werde konservatives Ordnungsdenken zum Katalysator progressiver Ziele.
Last but not least hielt Prof. Dr. Esfahani als letzter Referent des Abends seinen Vortrag unter dem Titel „Kann man überhaupt nicht politisch sein?“ Prof. Esfahani machte deutlich, dass das koranischen Verständnis vom Menschen die Grundlage für sein Konzept des homo politicus darstellt. Nach Sure 6:94 ist der Mensch allein erschaffen und er kehrt allein zu Gott zurück. Der Mensch kommt mit Nichts zur Welt und verlässt die Welt wieder mit nichts und niemand anderem. Das Alleinsein schilderte der Referent dann in seinen unterschiedlichen Dimensionen – es habe eine tiefe existentielle, aber auch theologische Bedeutung. Der Mensch habe zuerst mit Gott Verbindung und diese Verbindung stehe auch an höchster Stelle.
In Sure 64:9 ist von der „Versammlung“ die Rede, Gott sammele die Menschen am Tag der Auferstehung. In der Zeit zwischen dem Alleinsein bei seiner Geburt und dann wieder im Sterben sei der Mensch mit anderen Menschen zusammen. Das Leben beginne und ende mit Gott allein, in der Zeit dazwischen lebe der Mensch mit anderen Menschen zusammen. Auf einem Teil seiner Reise lebe und interagiere der Mensch mit anderen Menschen. Der Mensch erlebe durch die Mitmenschen, was das Menschsein ist. Die Offenheit gegenüber den Mitmenschen helfe dem Menschen, das Dasein zu verstehen.
Der Referent verwies auf Sure 3:18, wo von Menschen, die Wissen besitzen und sich um Gerechtigkeit bemühen, die Rede ist. Dieses Streben nach Gerechtigkeit, das dem Menschen nach dem Koran aufgetragen ist, betreffe das Dasein mit den Mitmenschen, Strukturen und Machtverhältnisse. Es ist politisch, wenn man sich über die Gerechtigkeit in einer Gesellschaft Gedanken machen soll. Nach dem Koran kann man daher nicht unpolitisch sein.
Eine 30-minütige lebhafte Diskussion mit Fragemöglichkeiten an die Referenten stand am Ende der gelungenen Veranstaltung.