Am Freitag, den 30.9. 2022, und Samstag, den 1.10.2022, veranstaltete die Stiftung für Islamische Studien (SIS) in Kooperation mit dem Al-Mustafa-Institut eine Internationale Korankonferenz mit renommierten Koranexperten aus aller Welt. Um sich nicht im weiten Feld der Koranforschung zu verlieren, wurde im Vorfeld festgelegt, sich auf die Sura Al-Hadid (Sura 57) zu konzentrieren.
Die Panels am Freitag, dem ersten Tag der Konferenz, wurden ausschließlich in englischer Sprache abgehalten. Nach einer kurzen Begrüßung der Moderatorin stellte Prof. Mahdi Esfahani zunächst die Aufgaben und Ziele der Korankonferenz vor.
Als Erstes referierte Prof. Yakubovych zu dem Thema „Übersetzung des Korans als Genre: Internationale muslimische Verleger als Akteure“. Der Referent warf zunächst die Frage auf, ob wir überhaupt über eine „autorisierte“ Übersetzung des Korans verfügen. Anschließend stellte er die größten Herausgeber von Koranübersetzungen – wie die Al-Azhar-Universität, das türkische Direktorat für religiöse Angelegenheiten, das Zentrum für Koranübersetzungen in Qom (Iran), den König-Fahd Verlagskomplex in Saudi-Arabien sowie private Übersetzungen – vor. Diese Institute verweisen im Impressum darauf, dass es sich um von ihnen „genehmigten“ Übersetzungen des Korans handelt. Der Referent warf danach die Frage auf, wie sich das Konzept der „Übersetzungen der Bedeutung“ auf das Genre auswirkt. Prof. Yakubovych führte anschließend seine zentrale These aus, dass der Herausgeber einer Koranübersetzung letztlich wichtiger sei als der Übersetzer. Die unterschiedlichen Herausgeber repräsentierten verschiedene Strömungen im Islam. Anhand der 57. Sure legte er die seiner Auffassung nach kritischen redaktionelle Änderungen dar. Dabei stellte er die Diyanet-Übersetzung der der des King Fahd-Komplexes gegenüber. Der Referent kam zu dem Ergebnis, dass die Interpretation bzw. der Kommentar (Tasir) in die Übersetzung einfließe. Am Beispiel der Übersetzung des King-Fahd-Komplexes versuchte er zu verdeutlichen, dass Passagen bei der Übersetzung mit einer wahhabitischen Interpretation versehen seien.
Als zweiter Referent des Abends hielt Prof. Samji seinen Vortrag mit dem Titel „sermon styles in the quran: a form-critical typology of public preaching“ (Predigtstile im Koran: Eine formkritische Typologie öffentlicher Predigt).
Der Referent ging zunächst auf die Genre-Theorie ein, wobei er sich auf Hermann Gunkel, einem Pionier im Bereich der Genretheorie und Formkritik berief. Demnach muss jede wörtliche Rede oder ein Text zuerst und vor allem durch das literarische Genre (Gattung) klassifiziert werden. Prof. Samji verwies dabei auf einen übereinstimmenden Hadith von At-Tabari, nach dem im Koran sieben literarische Genres zu finden sind: Gebote, Verbote, Ermahnungen, Warnungen, Debatten, Erzählungen und Parabeln. Anschließend machte der Verfasser deutlich, wie Gunkel Formkritik in der Praxis verstand. Genres sind demnach auf der Grundlage von Form, Zusammenhang und Thema bestimmt. Nachdem er auf die Bedeutung der Genrekritik einging, wandte er sich der formelhaften Dichte in den „Lobpreiskapiteln“ des Koran zu, zu denen auch die 57. Sure des Koran zu zählen sei. In der besagten Sura seien allein acht Formen zu konstatieren: Liturgische Formen, Predigtformen, Eschatologische Formen, Erzählformen, Befehlsformen, Weisheiten und debattierende Formen. Die Formkritik bietet dem Referenten zufolge einen seltenen Einblick in den Rahmen dieser traditionellen Gruppe von Lobpreiskapiteln. Wie in Sure 57 deutlich werde, würden diese Lobpreiskapitel eine zweifache Typologie aufweisen, nämlich einfache Predigten und befehlende Predigten.
Als dritter Referent des Abends hielt Dr. Farhad Shafti seinen Vortrag mit dem Titel „ An Honest Answer to the Question raised in Q 57:16″. Dr. Shafti gab zunächst eine kurze Einführung in den besagten Vers. Nach Auffassung des Referenten spricht die Frage die direkte Adressierung des Korans an, für wen Itmam al-hujjah getan wurde. Der Referent schilderte danach das Narrativ des Itmam al-Hujjah (Vervollständigung des Beweises, sodass keine Zweifel mehr bestehen) im Koran. Eine der Hauptziele der Mission der Gesandten der abrahamitischen Religion sei es, die Menschen vor einer Bestrafung in beiden Welten zu warnen. Diese Warnung wurde mit einem sehr wichtigen Mittel verbunden, nämlich Itmam al-Hujjah. Nach dem Koran war das Ergebnis von Itmam al-Hujjah, dass die Wahrheit deutlich wurde und ohne Zweifel vom Irrtum unterschieden werden konnte. In der Sura al-Hadid würde dies darin deutlich, dass dort ausgeführt wird, dass Gott die Herrschaft innehat, dass Er Propheten und Bücher sendet, dass Gott alles geschrieben hat, voller Vergebung ist und die Gläubigen im Paradies sein würden und dass die „Leute der Schrift“ nicht über Gottes Gnaden verfügen könnten. Dies alles fordere eine direkte Antwort eines jeden Einzelnen auf den in Q 67 erkennbaren Anruf Gottes.
Mit einer Frage-Antwort-Runde und eine kurzen Zusammenfassung ging der erste Tag der Korankonferenz zu Ende.
Am zweiten Tag der Konferenz begrüßte die Moderatorin zunächst die Teilnehmer und Zuschauer und verlas eine Nachricht von Dr. Seyfeddin Kara, der seine Teilnahme aus gesundheitlichen Gründen absagen musste.
Wegen Internetproblemen musste zudem der Ablauf geändert werden. Als Erstes referierte deshalb Dr. Thomas Würtz auf Deutsch. Seinen Vortrag hielt er unter dem Titel „Biblical as a commentary on the Quran – Siories an Explanation in the Tafsir of Ibrahim al-Biqa’i”..
Wenn man Bibel und Koran aus islamischer Perspektive betrachte, so Dr. Wütz, sei zu konstatieren, dass der Bibel dann Autorität zugestanden würde, wenn sie als Hinweis auf den Koran verstanden würde. Im Hinblick auf Ibn Hazim könne man von einer Islamifizierung der Bibel sprechen. Bekannte Beispiele seien der „Parakletos“ in Johannes 14, 16-17, der im Christentum als „heiliger Geist“ und im Islam als der Prophet Muhammad identifiziert werde. Al-Biqa’i zitiere aus der Bibel, lasse jedoch Verse aus der Bibel aus, die im Widerspruch zum Koran stünden. Dr. Würtz gab dabei einen kurzen Überblick über das Leben Ibrahim al-Biqai’s (1406-1480). In seinem Tafsir gäbe es unübliche Zitate bzw. Bezugnahmen auf die Bibel. Dies sei auch im Hinblick auf Sura 57,27 („Mönchsaskese“) der Fall. Dr. Würtz warf anschließend die Fragen auf, wie die Anordnung zu verstehen sei, welche Bezüge sich zum Guten und Verwerflichen nach islamischer Lehre herstellen ließen und ob die Auslassungen al-Biqa’is dogmatisch nachvollziehbar seien. Diese Fragen führten den Referenten zur Hermeneutik; eine Leserhermeneutik würde fragen, ob der heutige Leser durch den Tafsir ein besseres Verständnis der anderen Religion erlangen könne.
Aufgrund weiter bestehender Internetprobleme erfolgte zunächst eine Pause, wonach der Vortrag von Dr. Farhad Ghoddoussi in englischer Sprache vorgezogen wurde. Dr. Ghoddoussi gab seinem Vortrag den Titel „A Brief Look to the Contemporary Scholarship Views on the Phrase ‚wa-rahbaniyatan ibtada’hua‘ in Quran 57:27“. Dr. Ghouddosi stellte den Vers zunächst im Kontext der Sura dar. In dem Vers heißt es (im Hinblick auf das Christentum): „aber was das Mönchtum betrifft, so haben sie es erfunden“. Nach der Darstellung von Korankommentaren führte der Referent u.a. eine Analyse bezüglich des Ursprungs und der Entwicklung des christlichen Mönchstums an. In der Besprechung der Ansichten von Louis Massignon wurden dessen Auffassungen, ob es Mönchstum im Islam geben würde oder der Dschihad die Form des Mönchstums im Islam sei (wie Massignon meint), dargelegt. Anschließend diskutierte der Referent u.a. Edmund Becks Schrift „Das christliche Mönchtum im Islam“ und dessen Auffassungen, was ihn zur hermeneutischen Strategie der verschiedenen Gelehrten führte.
Nach dem Vortrag von Dr. Ghodoussi konnte Prof. Mahdi Esfahani doch noch seinen eigentlich am Anfang stehenden Vortrag (auf Deutsch) unter dem Titel „Facets of Tawhid in Sura al-Hadid“ halten. Prof. Esfahani beleuchtete zunächst das Verhältnis zwischen Gott und Schöpfung, das man mit einem Wort – Tawhid – besprechen könne. Nach der koranischen Einheitslehre sei alles durch die durchdringende Einheit Gottes gekennzeichnet; wenn Gott unbegrenzt sei, so sei er mit allem in Verbindung. Alles andere kann nur von Gott abhängig sein. Der 1. Vers der Sura 57 mache deutlich, dass die gesamte Schöpfung in Verbindung mit Gott steht – sie versucht, näher zu Gott zu kommen. Im 2. Vers werde das Bild vervollständigt. Gott ist der Eigentümer von allem. Man könne Gott nicht enteignen, alles sei von seiner Existenz abhängig. Betrachte man diese Verse, so werde deutlich, dass Gott vollkommen, alle(s) andere(n) unvollkommen sei. Im 4. Vers finden sich am Ende vier verschiedene Beschreibungen. Dann erfolge eine detaillierte Schilderung der Rangstufen der Manifestation. Die Rangstufen gehörten dabei zu denjenigen, die nach Vollkommenheit strebten. Im 6. Vers werde die Einheit in brillanter Art und Weise geschildert, so der Referent. Auch das Eigentümersein werde noch einmal betont. Der Referent schilderte danach die Einheitslehre in unterschiedlichen Facetten. „Iman“ bezeichnete er dabei als „Durchsetzung der Gotteserkenntnis“: Handeln die Menschen in einer Art und Weise, die zur Gotteserkenntnis passt? Gott habe verschiedene Zeichen herabgesandt, Er sei das Licht. Diejenigen, die sich Gott nähern wollten, müssten von der Finsternis zum Licht gelangen. Der Referent führte noch einige weitere Facetten des Tawhid aus.
Eine länger andauernde Frage-Antwort-Runde, die in eine Diskussion überging, beendete die Veranstaltung.